„Masken für Alle“ in Berlin-Neukölln – keine FFP2-Masken. Senat verteilt an Bedürftige OP-Masken-Überschuss von der „Halde“
Auf Twitter las ich am Freitag, dass das Bezirksamt Neukölln armen Menschen wie Rentnerinnen, Alleinerziehenden, Langzeit-Arbeitslosen und anderen ALG2-Berechtigten oder in Grundsicherung lebenden Menschen, ab Dienstag den 26.01.2021 mit der kostenfreien Ausgabe von Mund- und Nasenschutz helfend unter die Arme greifen möchte. Hintergrund ist, dass seit Sonntag kostensparende Mund- und Nasenschutz-Alternativen zu Einweg-Artikeln wie Banderas, Tücher oder Schals nicht mehr erlaubt sind. Dafür stattet die Berliner Verwaltung strukturell benachteiligten Bevölkerungsgruppen kostenfrei mit „Medizinischen Masken“ aus. Aber erst ab Dienstag, zu bestimmten Uhrzeiten und an unterschiedlichen Orten in ganz Neukölln, wird Bedürftigen die Möglichkeit gegeben, die OP-Masken (Medizinische Masken) kostenlos abzuholen. Die späte Aktion klingt spontan plausibel und durchaus solidarisch. Doch zum einen durften heute Menschen ohne „medizinische Masken“ nicht einkaufen, zum anderen sind die „Masken für alle“ nicht einmal FFP2-Masken, welche auch die Tragenden selbst genügend vor einer Covid-19-Infektion schützten. Dennoch sollen Arme das Risiko eingehen, sich zum Abholen der mangelhaft vor einer Infektion mit Covid-19 schützenden Wegwerfartikel, unter Wahrung der Abstandsregeln, in einer Menschenschlange vor den Ausgabestellen einzureihen, wo sich die Wahrscheinlichkeit einer Covid-19-Infektion zwangsläufig erhöht. Das ist mir persönlich zu gefährlich: Ich habe Angst. Nein danke, da trage ich besser einen Schal vor Mund und Nase, das genügte bislang, um der „Maskenpflicht“ in geschlossenen Räumen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Einkaufsstraßen genügend nachzukommen, aber:
„Zur Eindämmung der Corona-Pandemie gilt seit Sonntag auch in Berlin eine verschärfte Maskenpflicht. In Bussen und Bahnen sowie beim Einkaufen, aber auch beim Arzt, in der Kirche oder in öffentlichen Verwaltungsgebäuden, etwa Bürgerämtern, ist nun das Tragen einer (…) „medizinischen Maske“ vorgeschrieben – bei Androhung von Bußgeld. Das können FFP2-, KN95-oder OP-Masken sein. Die weit verbreiteten Alltagsmasken aus Stoff oder andere Bedeckungen des Mundes und der Nase sind dann nicht mehr erlaubt.
(RBB)
Mir als ALG2-Berechtigten hilft die Hilfsaktion anhand kostenfreier Verteilung überschüssiger „Schutzausrüstung“ also weniger gesundheitlich als die Anschaffung neuer FFP2Masken für alle. Aber vor einem Bußgeldbescheid, was besonders arme Menschen in heftige Bedrängnis bringt. Es scheint so, als wolle der Berliner Senat die unüberlegt vorschnell bestellte Ware, die die Verwaltung nicht los geworden ist, nun nutzen, um sehr spät im Corona-Winter auf dicke Soli-Hose zu machen. Mehr als drei Millionen „OP-Masken“ lagen schließlich schon seit Sommer 2020 auf Halde, weil die blassblauen Einweg-Papierlinge für das systemrelevante Personal im Öffentlichen- und medizinisch-sozialen Dienst oder anderen sensiblen Arbeitsbereichen zum Schutz vor einer Covid19-Infektion wenig brauchbar schienen. Für die „Armen“ der Stadt sollen die Masken nun aber gut genug sein zum zumutbaren Gebrauch. Das ist weder gerecht, noch überaus hilfreich. Die Aktion kommt vielmehr einer unpraktischen Mogel-Packung gleich, die für die angepeilte Zielgruppe echte Risiken birgt.
Alltagsmasken aus einen Stofftuch oder Baumwolle-Schal sind besser als Papiereinwegmasken?
Die sogenannten „OP-Masken“ im Alltag zu tragen, ist nämlich laut Rat von Expertinnen aus der Epidemiologie gar nicht sonderlich ratsam. Oder? „OP Masken sind in drei Schichten aufgebaut und haben eine erhöhte Schutzwirkung“, meint eine Twitter nutzende Person. Auch Experten weisen auf eine Fehleinschätzung hin, die sich hartnäckig hält.
Bislang geht man allgemein davon aus, dass einfache OP-Masken vor allem das Umfeld eines Infizierten schützen, indem sie eine Tröpfchenübertragung verhindern, dem Träger selbst aber wenig nützen. Doch das ist offenbar so nicht richtig. Ein Forscherteam um Holger Schünemann von der McMaster Universität im kanadischen Hamilton wertete systematisch alle Studien zu dem Thema aus und fand Überraschendes heraus. „Nach unserer Analyse senken Masken das relative Risiko, sich zu infizieren, um etwa 80 Prozent“, sagte der deutsche Epidemiologe dem Redaktionsnetzwerk Deutschland(RND). „Das bedeutet: Wenn das Basisrisiko, sich anzustecken, bei etwa 50 Prozent liegt, wie es etwa für Chorproben beschrieben wurde, dann verringert es sich, wenn ich eine Maske trage, auf 10 Prozent. Ist das Basisrisiko ein Prozent, reduziert sich die Gefahr, sich anzustecken, auf 0,2 Prozent. Wir beziehen uns auf Daten für den einfachen chirurgischen Mundschutz, wie man ihn überall kaufen kann.“
NTV
Mehrweg-Alltagsmasken aus Stoff wie ein Tuch oder Schal sind allerdings weniger umweltbelastend und ähnlich mittelmäßig wirksam. Denn: „Sogar selbstgebastelte Schutzmasken helfen, andere vor einer Corona-Tröpfcheninfektion zu bewahren.“ Wohnungslosen etwa, die kaum Kleidung, auch keine Banderas, Tücher und Schals besitzen und für die im Alltag keine Möglichkeit vorhanden ist, diese auch regelmäßig zu reinigen, ist mit den Mehrwegmasken indes tatsächlich etwas geholfen. Aber nur kurzfristig, denn schnell sind die Masken aufgebraucht. Eine Wohnung zuzuteilen, wäre seitens Bezirksverwaltung also weitaus sozialer, da eine nachhaltig wirksame und damit wirkliche Hilfe.
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OP-Masken helfen Wohnungslosen kurzfristig, eine Wohnung zuzuteilen, wäre echte Hilfe
Und was die teuren FFP2-Masken betrifft, die die Träger tatsächlich effektiv vor einer Tröpfchen-Infektion mit dem grassierenden Corona-Virus schützen – zum Glück* habe ich Freunde, die mir bereits ausgeholfen haben. Erst in der vorangegangen Woche brachte mir ein Freund ein Päckchen FFP2-Masken vorbei. Aber mit Glück hat’s übrigens kaum etwas zu tun, Menschen zu kennen, die nicht arm sind. Gehöre damit nämlich tatsächlich zum privilegierten Teil der Gesellschaft – im real existierenden Klassismus des 21. Jahrhunderts.
Gut ist, dass die einfachen OP-Masken helfen, die Verteilung von Aerosolen der Atemlust im Umgebungsradius zu drosseln. Völlig nutzlos im Kampf gegen die Ausbreitung der Covid19-Pandemie sind die vom Bezirk Neukölln verteilten Masken für alle freilich nicht: „Besser als nix“ sozusagen. Löblich zudem, dass auch Menschen ohne Papiere sich fünf „OP-Masken“ abholen dürfen, um der Maskenpflicht im Öffentlichen Raum und Nahverkehr nachkommen zu können, aber prinzipiell; diese „Suppenküchen-Mentalität“ ist 19. Jahrhundert und überholt. Brauchen Gesetze, dass keine Arztpraxis die Behandlung verweigern darf/muss, dass keinem Mensch nirgends aufgrund seiner Herkunft oder Status, Hilfe oder Rechte verweigert wird, weil Papiere fehlen. Darüber hinaus muss gelten: Schafft Wohnraum, gebt Menschen eine Wohnung, Wohnen ist ein Menschenrecht.
Medizinische Masken für berlinpass-Inhabende: Pressemitteilung vom 22.01.2021
Wer einen berlinpass besitzt, erhält ab Dienstag, den 26. Januar 2021 auch in Neukölln kostenlos medizinische Masken. Alle Inhaber*innen eines berlinpass erhalten im gesamten Bezirk fünf abgepackte medizinische Masken. Neben vier Abgabestellen in verschiedenen Ortsteilen werden auch an Wochenmärkten Masken ausgegeben.
Die folgenden Abgabestellen haben von Dienstag bis Freitag von 11-16 Uhr geöffnet:
– Rathaus Neukölln, Karl-Marx-Str. 83, Pforte (Ortsteil Neukölln)
– Dienstgebäude Blaschkoallee, Blaschkoallee 32, Pforte (Britz)
– Gemeinschaftshaus Gropiusstadt, Bat-Yam-Platz 1 (Gropiusstadt)
– Seniorenfreizeitstätte Rudow, Alt-Rudow 60 (Rudow)Auf folgenden Wochenmärkten erfolgt eine Verteilung durch das Technische Hilfswerk:
– Dienstag: Wochenmarkt Maybachufer (11-18:30 Uhr)
– Mittwoch: Wochenmarkt Karl-Marx-Platz (11-18 Uhr)
– Donnerstag: Markt Britz-Süd/Gutschmidtstr (8-13 Uhr)
– Freitag: Wochenmarkt Hermannplatz (10-18 Uhr)Wir bitten alle Berechtigten, ihren berlinpass oder einen Leistungsbescheid mit sich zu führen.
Insgesamt stellt der Senat dem Bezirk etwa 300.000 medizinische OP-Masken zur Verfügung, die in Neukölln abgepackt und verteilt werden. Die Verteilaktion erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Technischen Hilfswerk (THW) Ortsverband Neukölln.
Quellen-Link zur PM hier
FFP2- oder FFP3-Masken sind notwendig, um den Träger tatsächlich vor Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen – und nicht nur das Umfeld vor Viren des Maskenträgers.
(Berliner Zeitung)
Enttäuschend auch der lahme Erkenntnisgewinn der SPD im Bund. Nachdem bereits Linke und sogar Teile der CDU, FDP und Grüne in Norddeutschland einen Corona-Aufschlag aufs ALG2 forderten, kommt nun endlich auch die SPD aus dem Quark, der CDU in der Großen Koalition endlich mehr Druck zu machen: „Malu Dreyer hat recht: Wenn wir zum Schutz vor Corona nun OP- und FFP2-Masken empfehlen, dann sind wir in der Pflicht, Menschen in Grundsicherung die Masken zur Verfügung zu stellen. Und das bringen wir als SPD in der Bundesregierung jetzt auf den Weg“, twittert SPD-Vorsitzende Saskia Esken am 22.01.2021. Doch längst sind mindestens 100 Euro ALG2-Aufschlag monatlich und rückwirkend gefordert. Auch SPD-Vorstand Kevin Kühnert schreibt via Twitter: „Maskengutscheine auch für Empfänger:innen der Grundsicherung und ein Corona-Zuschuss zum Regelsatz wegen der finanziellen Mehrbelastung: Was Dreyer und Heil da heute vorschlagen, ist notwendig, sinnvoll und unsere gemeinsame Position in der SPD.“ Aber Gutscheine für FFP2-Masken stigmatisieren ALG2-Berechtigte beim Eintauschen der Gutscheine bereits an der Kasse, deshalb muss stattdessen schnell und rückwirkend ein finanzieller Corona-Zuschuss als Ausgleich für die Mehrbelastung im Corona-Lockdown her. Dass die sozialdemokratische Partei SPD das nicht priorisiert, ist typisch für den Zustand der mehr und mehr klassistischen Working-Family-Partei, die Aufstieg durch gute Jobs in guter Wirtschaft als Alternative zur Armut politisch feilbietet. Als Speerspitze der sozialen und demokratischen Bewegungen hat die SPD erneut versagt. Das ist traurig und sehr ernüchternd.
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